Wem im Alter Armut droht


Wer arbeitet, hat im Alter Anspruch auf gesetzliche Rente. Doch nahezu jedem dritten Arbeitnehmer droht eine Rente unterhalb der Armutsschwelle. Wir zeigen, wie viel Sie verdienen müssen, um im Alter nicht arm zu sein.

Ob Norbert Blüm sich manchmal wünscht, jenen folgenschweren Satz nicht gesagt zu haben? Wenn eines sicher sei, dann die Rente – darüber kann man heute nur noch müde lächeln, wenn überhaupt. So mancher Arbeiter dürfte eher wütend werden, wenn er seinen Rentenbescheid liest. Fakt ist, dass selbst eine Vollzeitbeschäftigung heute nicht mehr ausreicht, um im Alter ein Leben oberhalb der Armutsschwelle zu garantieren.

 

Es gibt unterschiedliche Definitionen von Armut. Internationale Organisationen setzen die Armutsschwelle oft bei 60 Prozent des Medianeinkommens fest. In Deutschland wären das 1063 Euro im Monat. In der Praxis greift für deutsche Rentner jedoch eine deutlich niedrigere Definition: die Grundsicherung im Alter. Sie steht jedem zu, der keine oder nur wenig Rente bekommt, und ist somit das letzte Sicherungsnetz, auf das im Alter jeder zurückfällt.

 

Die Grundsicherung ist keine feste Größe, sondern abhängig von der persönlichen Lebenssituation und dem persönlichen Bedarf. Sie berechnet sich aus dem Grundanspruch von aktuell 416 Euro plus Wohnkosten plus etwaige Zusatzansprüche, etwa wegen Behinderung. Die Deutsche Rentenversicherung rät, bis zu einem monatlichen Alterseinkommen von 838 Euro prüfen zu lassen, ob ein Anspruch auf Grundsicherung besteht.

Die Frage ist nun, wie viel ein Arbeitnehmer heute verdienen muss, um mehr Rente als besagte 838 Euro zu erhalten. Für ein einfaches Rechenbeispiel gehen wir von einem männlichen Single aus, Herr Hirsch, der nach 45 Arbeitsjahren regulär in Rente gehen will. Er war die ganze Zeit über im selben Beruf und in derselben Einkommensklasse tätig. Da die Grundsicherung in etwa so stark ansteigt wie die Inflation, können wir beide Faktoren in diesem Rechenbeispiel außen vorlassen. Gleichzeitig gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass sich auch Gehaltserhöhungen, Rentenanpassungen und Inflation ausgleichen.

 

Bei einem Gehalt unter 1834 Euro droht Armut

 

Diese vereinfachende Rechnung bietet freilich keine wissenschaftlichen Ergebnisse, sondern nur eine Orientierung. Die hat es aber in sich: Um eine Rente auf Niveau der Grundsicherung zu bekommen, bräuchte Herr Hirsch – ceteris paribus – 26,2 Entgeltpunkte. Das entspricht 58 Prozent des deutschen Durchschnittslohns von gut 3000 Euro beziehungsweise einem monatlichen Bruttogehalt von 1834 Euro (26,2 geteilt durch 45 Jahre gleich 0,58 Rentenpunkte, also 58 Prozent des monatlichen durchschnittlichen Einkommens in der gesetzlichen Rentenversicherung, also 22.011,78 Euro Bruttoeinkommen pro Jahr, also 1834 Euro pro Monat).

 

Ungefähr 1800 Euro verdienen laut Daten der Bundesagentur für Arbeit etwa Vollzeitangestellte in Reinigungsberufen oder Tourismus-, Hotel und Gaststättenberufen. Auch einzelne Berufe wie der des Friseurs, die in der Arbeitsagentur-Statistik nicht einzeln aufgeführt werden, liegen in der Regel nicht über diesem Wert.

Jeder dritte Arbeitnehmer wäre im Alter armutsgefährdet

 

Doch Altersarmut ist nicht nur ein Problem bestimmter Branchen. Das zeigt ein Blick auf die branchenübergreifende Einkommensstatistik der Bundesagentur. Demnach verdient mehr als jeder zehnte sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigte weniger als 1800 Euro im Monat. Nimmt man nun noch die Teilzeitbeschäftigten hinzu, so ergibt sich ein noch frappierenderes Bild: Knapp zehn Millionen Deutsche verdienen weniger als 1800 Euro monatlich. Diese Zahlen muss man wohlbemerkt nicht zu 82 Millionen Deutschen in Bezug setzen, sondern zu 32 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Stand Dezember 2016). Damit verdient fast jeder dritte deutsche Arbeitnehmer Stand jetzt nicht genug Geld, um später eine Rente über der Grundsicherung zu bekommen. Hinzu kommen die Millionen Empfänger von Sozialleistungen, die gar nicht in die Rentenversicherung einzahlen.

 

Natürlich müssen solche Zahlen mit Vorsicht genossen werden. Einerseits können sich die Parameter wie Inflation, Rentenanpassungen oder individuelle Gehaltssteigerungen in Realität deutlich auseinanderentwickeln. Andererseits zeigt der Blick auf die Beschäftigtenstatistik nur eine Momentaufnahme. Wer dort heute als Niedriglöhner und damit armutsgefährdet gilt, kann in Wirklichkeit ein frisch gebackener Jurist sein, der sich mit einem Aushilfsjob über Wasser hält, später jedoch gut verdienen und viel in die Rentenkasse einzahlen wird. Andererseits kann jemand, der Stand jetzt als überdurchschnittlicher Verdiener vorkommt, mit 45 seinen Job verlieren, bis zur Rente arbeitslos sein und so trotzdem zu wenige Entgeltpunkte für eine auskömmliche Rente sammeln.

 

Der Mindestlohn führt direkt in die Altersarmut

 

Unumstritten ist jedoch: Viele Gehälter reichen nicht für eine Rente oberhalb der Armutsschwelle, und zwar nicht nur wegen individueller Biografien, sondern strukturell. Am einfachsten verdeutlicht das der Mindestlohn. Der liegt aktuell bei 8,84 Euro pro Stunde. Geht man von 160 Arbeitsstunden pro Monat aus, müsste er in unserem Rechenmodell jedoch deutlich höher sein, um eine Rente auf Niveau der Grundsicherung zu erreichen: bei 11,64 Euro.

 

Das ist auch der Bundesregierung bewusst. Als Antwort auf eine Anfrage der Linken kam sie auf eine ganz ähnliche Zahl: 11,68 Euro Mindestlohn seien nötig, um eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu gewährleisten. Klar ist damit: Jeder, der sein Erwerbsleben lang nur Mindestlohn bekommt, wird im Alter auf Grundsicherung angewiesen sein.

 

Für den Einzelnen bedeutet das, dass er dringend privat vorsorgen sollte. Bislang war das für Niedrigverdiener auch noch besonders schwierig, weil beispielsweise die Riester-Rente auf die Grundsicherung angerechnet wurde. Es lohnte sich also nicht, privat vorzusorgen. Seit Anfang 2018 hat sich das geändert: Jetzt können Grundsicherungsempfänger immerhin bis zu 208 Euro ihrer privaten Rente im Monat behalten, ohne gleichzeitig eine Kürzung der Grundsicherung befürchten zu müssen.