Schwarze Deutsche in Deutschland


Afrikanische Zuwanderung nach Deutschland zwischen 1884 und 1945

Wie haben die Menschen afrikanischer Herkunft bis 1945 in Deutschland gelebt?

Wer waren sie und unter welchen Bedingungen meisterten sie das Leben in einer Gesellschaft, die sie als 'das Fremde' betrachtete? Eine Analyse von Originaldokumenten und Fotografien.

Einführung


Wie haben die Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland gelebt? Wer waren sie und unter welchen Bedingungen meisterten sie das Leben in einer Gesellschaft, die sie als 'das Fremde' betrachtete?

Ich wusste aus meinem eigenen Leben als Afro-Deutsche, Jahrgang 1959, wie es sich anfühlte als Schwarze Deutsche in Deutschland aufzuwachsen, sich als Inländerin zu fühlen und doch auch immer wieder als das Symbol des Anderen wahrgenommen zu werden. Ich fragte mich, wie die Situation für Afrikaner und Afro-Deutsche 100 oder 50 Jahre vor meiner Geburt gewesen sein mag.

Martin Dibobe als Zugführer am U-Bahnhof Schlesisches Tor, ca. 1908. (© Archiv der BVG Berlin)

Es gab keine Literatur oder Dokumente, die mir diese Fragen beantworten konnten. Die Afrikanerinnen und Afrikaner, die sich in der Metropole aufhielten, waren bis dahin nie Gegenstand der historischen Forschung gewesen. Die Frage nach ihrer Anwesenheit in Deutschland und ihrem Beitrag für die Gesellschaft hatte sich für meine Historikerkolleginnen und –kollegen nicht gestellt. Der Grund hierfür war eine Reihe von unbelegten Vermutungen, die sich in der Folge im Wesentlichen als unrichtig und begrenzt erwiesen haben:

Die in Deutschland lebenden Afrikaner seien eine sehr kleine Minderheit und daher sei ihre Präsenz ohne Einfluss und Relevanz für die hiesige Gesellschaft gewesen.
Die deutsche Gesellschaft sei im Ganzen so fremdenfeindlich gewesen, dass ein normales Leben für Afrikaner hier nicht möglich gewesen wäre. Die Menschen schwarzer Hautfarbe seien einzig auf die Rolle als exotisches Objekt beschränkt gewesen.

Im Rahmen meiner Abschlussarbeit an der Universität begab ich mich 1987 auf die Suche nach den Zeugnissen des Lebens Schwarzer Menschen in Deutschland. Es gelang mir eine Skizze der afrikanischen Zuwanderung sowie der Lebensbedingungen der Afrikaner und Afro-Deutschen in Deutschland über drei historische Perioden zwischen der Errichtung deutscher Kolonien 1884 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zu entwerfen. Nachdem ein Anfang gemacht war und einige mögliche Quellenfundstellen aufgezeigt waren, zeigte sich, dass die Forschung zur Präsenz Schwarzer Menschen in Deutschland ein überaus vielfältiges und facettenreiches Gebiet darstellte.

Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den verschiedensten Fachrichtungen, die sich heute diesem Themengebiet zuwenden und zu den verschiedensten Aspekten arbeiten, erleben, dass ihnen die Quellen in ihrer Fülle gar explodieren. Ich freue mich über die Vielfalt der Forschung und über jede neue Veröffentlichung, die dazu beiträgt, das Puzzle zu vervollständigen. Viele Fragen wurden mittlerweile beantwortet, doch viele neue sind entstanden und so ist dieses Forschungsgebiet weiterhin sehr aufregend und bietet die Möglichkeit neuer Entdeckungen. Vor allem seien die Spuren der Afrikanerinnen und Afrikaner in der deutschen Geschichte so gering, dass es keine ausreichende Menge von Originalquellen gäbe, die sich wissenschaftlich auswerten ließen.

Kaiserzeit und Kolonialherrschaft


Die Epoche des deutschen Kolonialismus fiel in die Zeit des deutschen Kaiserreichs. Durch die Einigung der deutschen Nation war die Zersplitterung der Kleinstaaterei überwunden und es schien nur folgerichtig, dass Deutschland seinen Anspruch zu den europäischen Großmächten zu zählen, nun auch mit dem Erwerb eigener Kolonialgebiete nach außen deutlich machte. Auf der von Otto von Bismarck 1884 einberufenen Berliner Kongo-Konferenz, an der alle zur damaligen Zeit wichtigen Nationen teilnahmen, wurde Afrika sozusagen am grünen Tisch unter den europäischen Mächten aufgeteilt. Mit dieser Absicherung im Hintergrund übernahm die deutsche Regierung – auf Drängen der interessierten Kolonial- und Wirtschaftskreise in Deutschland – die Schutzherrschaft in verschiedenen Gebieten Afrikas.

Deutsche Kolonial-Briefmarke. (© Public Domain, Deutsche Reichspost)

Die Errichtung der deutschen Kolonien bildete die Voraussetzung für die nun erstmals in größerer Zahl stattfindenden Einreisen von Afrikanern nach Deutschland. Deutsche Kaufleute, Missionare und Reisende waren bereits vor dem staatlichen Engagement Deutschlands in Afrika anwesend. Es gab einen regen Reiseverkehr und Handelsaustausch zwischen Afrika und Deutschland. Die Schifffahrtsverbindungen wurden nun regelmäßiger und die berühmte 'Woermann Linie' fuhr mit höherer Taktfrequenz nach Duala (Kamerun), Lome (Togo), zur Walfischbucht (Deutsch-Südwest-Afrika) oder nach Daressalam (Deutsch-Ost-Afrika).

Der Ausbau der deutschen Kolonien ging einher mit einem steigenden Bedarf an einheimischen Fachkräften für die Kolonialverwaltung und -wirtschaft. So kamen viele junge Afrikanerinnen und Afrikaner zum Zweck der Ausbildung nach Deutschland. An deutschen Schulen und Universitäten erhielten einige von ihnen eine höhere Schulbildung. Die Mehrzahl der Neuankömmlinge wurde jedoch an Missions- und Kolonialschulen als Handwerker, zu einheimischen Missionslehrern, als Handwerker oder Facharbeiter für die Tätigkeit in den Kolonien ausgebildet. Wieder andere reisten auf Schiffen der deutschen Afrikalinien als Koch, Stewards oder Heizer nach Deutschland ein. Häufig wurden die Afrikaner als Sprachgehilfen für afrikanische Sprachen bei den deutschen Afrikaforschern eingesetzt oder sie kamen als ehemalige Angehörige der deutschen Schutztruppen, den Askari, nach Deutschland. Außerdem gab es noch die große Gruppe derjenigen meist jugendlichen Afrikanern und Afrikanerinnen, die von deutschen Kaufleuten oder Reisenden von deren Afrikareisen, sei es als Hilfen für Haushalt und Geschäft oder als sentimentales 'Mitbringsel', mit nach Deutschland zurückgebracht wurden.

Viele dieser Afrikaner, die als junge Männer oder Jugendliche nach Deutschland gekommen waren, blieben für den Rest ihres Lebens in Deutschland, gründeten Familien und arbeiteten hier. Einige von ihnen brachten sich auch auf politischer Ebene in die deutsche Gesellschaft ein.

Weimarer Republik – Hoffnung auf Demokratie und Gerechtigkeit

 

Porträt der Familie von Mandenga Diek, ca. 1920 (mit Frau Emilie Diek, geb. Wiedelinski, und den Töchtern Erika und Doris.

Deutschland hatte den Ersten Weltkrieg verloren und daraus resultierend waren die deutschen Kolonien in Afrika unter das Mandat der britischen und französischen Regierungen gelangt. Die Lage der Afrikaner in Deutschland und ihrer Familien veränderte sich hierdurch in mancherlei Hinsicht. Hatten die Afrikaner zum Beispiel einen deutschen Ausweis besessen, der sie als Angehörige einer deutschen Kolonie bezeichnete, wurde ihnen nun ein Status zugewiesen, der sie als "Angehörige der ehemaligen Schutzgebiete" auswies. Nach dem Versailler Vertrag sollten die Afrikaner aus den vormals deutschen Kolonien, die sich außerhalb dieser Kolonien aufhielten, nun automatisch zu Bürgern der jeweiligen Mandatsländer werden. Für die meisten Afrikaner in Deutschland war dies jedoch keine Option, da sie zum Teil bereits über mehrere Jahrzehnte in Deutschland lebten. Hier hatten sie ihren Lebensmittelpunkt – sie arbeiteten in Deutschland, waren Familienväter geworden und sprachen häufig auch keine andere europäische Sprache außer Deutsch.

Schon in den letzten Jahren der deutschen Kolonialherrschaft hatten die Afrikaner, deren Verbindungen zu ihren Heimatländern oft noch bestanden, auf die Kolonialverwaltung einzuwirken versucht, um die Härten für die Menschen vor Ort zu mildern. In zahlreichen Petitionen und Eingaben (vor allem für Togo bei P. Sebald und Kamerun bei A. Rüger gut dokumentiert) wendeten sie sich an den deutschen Reichstag und versuchten mit Hilfe deutscher Unterstützer die deutsche Öffentlichkeit über die Zustände in den Kolonien zu informieren. Zu den zahlreichen politischen Aktivitäten der Afrikaner gehörte die Gründung einer zweisprachigen Zeitschrift, die in Deutsch und Duala erscheinen sollte und den Titel 'Elolombe ya Kamerun' (Sonne von Kamerun) trug.

Eine Gruppe politisch links orientierter Afrikaner rief den deutschen Zweig einer Menschenrechtsorganisation ins Leben, deren Hauptsitz sich in Paris befand: "Die deutsche Sektion der Liga zur Verteidigung der Negerrasse". Die wirtschaftliche Depression der Zwanzigerjahre traf viele der Afrikaner in Deutschland hart. Es war schwer Arbeit zu finden und die von Arbeitslosigkeit Betroffenen hatten keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da dieser an die deutsche Staatsangehörigkeit gebunden war. Einige Afrikaner wurden durch einen kleinen Etat aus Haushaltsmitteln des Auswärtigen Amtes unterstützt, der von der Gesellschaft für Eingeborenenkunde, einem deutschen Kolonialverein verwaltet wurde. Die monatliche Zuteilung der Gelder war an Wohlverhalten geknüpft und konnte ohne Begründung gewährt oder verweigert werden.

Die Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg wurde begleitet von einer breiten Schmähkampagne gegen französische Besatzungstruppen, die aus Nordafrika stammten. Diese Kampagne hatte Folgen für die Afrikaner, so finden sich gehäuft Beschwerden von langjährig in Deutschland ansässigen Afrikanern, deren Bewegungsfreiheit durch Anfeindungen aufgrund der Schmachkampagnen eingeschränkt war. Vor allem der Aufenthalt im Rheinland war nun problematisch. Doch so schwer diese Zeiten gewesen waren, die schlimmste Periode sollte noch kommen.

Leben unter dem NS-Terrorregime

In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur wurden die Lebensumstände für die Afrikaner, die Afro-Deutschen und deren Ehefrauen und Mütter stetig schwerer. Nun verloren auch die Afrikaner, die eingebürgerte Deutsche waren, ihre Pässe. Sie wurden zumeist durch staatenlose Ausweise ersetzt. Reisen ins Ausland waren erheblich erschwert und für die in Musik, Varieté, Zirkus oder Film beschäftigten Schwarzen Deutschen verkomplizierten sich die Arbeitsbedingungen. Später kam für sie eine wöchentliche Meldepflicht bei der Polizei hinzu.

In Deutschland selbst wurde es immer schwieriger eine Anstellung zu finden, denn aufgrund der rassistischen Propaganda wurde es selbst bereitwilligen Arbeitgebern unmöglich, Schwarze Angestellte zu behalten oder neu einzustellen. Die Lebensbedingungen der Afrikaner und Afro-Deutschen waren von Mühsal und kreativen Überlebensstrategien geprägt. Zwischen augenscheinlicher Sichtbarkeit und dem Zwang sich unsichtbar machen zu müssen, war das Leben nun umso mehr ein Balanceakt geworden.

Überraschend waren die Forschungsergebnisse, welche bei meiner Recherche für diese Periode zu Tage traten. Die Politik des NS-Staates und seiner Behörden gegenüber den Afrikanern in Deutschland erscheint beim ersten Ansehen überaus widersprüchlich und irrational. So finden sich 'streng geheime', keinesfalls für die Öffentlichkeit bestimmte Dokumente und Papiere über intern geführte Diskussionen, wie NS-Funktionäre im Auftrag 'ihres Führers' über die Möglichkeiten spekulierten, wie Afrikaner aus den ehemaligen deutschen Kolonien "... in Lohn und Brot zu bringen ..." seien.

Die Argumentation der NS-Bürokratie lief darauf hinaus, dass man doch einige Afrikaner für eine pro-deutsche Kolonial-Propaganda zu gewinnen hoffte; denn die Nazis planten die Errichtung eines "Mittelafrikanischen Kolonialreiches unter deutscher Vorherrschaft". Die gesamte Gesetzgebung für das geplante Apartheidsystem, einschließlich der Gesetze für die Sklavenarbeit der Afrikaner bis hin zu Passentwürfen in diesem deutschen Kolonialreich, lag im Entwurf bereits 1940 vor. Deutschland kam der Realisierung seiner Kolonialträume niemals nahe. Trotzdem wurde dieser Traum kontinuierlich bis 1945 weiter geträumt.

Neben ihrer Ausgrenzung als Schwarze Menschen waren die schlimmsten Verfolgungsformen für Afrikaner und Afro-Deutsche die Zwangssterilisation junger Schwarzer Deutscher und die Verschleppung in Konzentrationslager. Hier dienten oft Ehen oder Partnerschaften zu weißen Deutschen oder ein vermuteter Sabotageakt als Grund. Aber die Afrikaner und Afro-Deutschen erfuhren in dieser Zeit auch Solidarität und Unterstützung von anderen Deutschen. Es war mir wichtig auch dies darzustellen; ein Zeitzeuge sagte: "Was unsere Frauen und Mütter damals geleistet haben, kann sich keiner vorstellen. Wir konnten ja oft nicht mal auf die Straße gehen und dann mussten sie für uns einkaufen und zwar ohne die ausreichenden Lebensmittelmarken zu haben. Ohne sie hätten wir nicht überleben können." Und eine andere Zeugin berichtete von einem deutschen Arbeitgeber, der sie im Betrieb versteckt hielt und alle Kollegen schützten sie vor dem Zugriff der Nazis.

Für die Menschen heute ist es wichtig, ein möglichst vollständiges Bild der Geschichte von Schwarzen Menschen in Deutschland zu haben und nicht auf Vermutungen und falsche Vorstellungen angewiesen zu sein. Das Leben von Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland hat vielerlei Aspekte und wir sollten uns bemühen sie in ihrer Vielfalt und Komplexität zusammenzutragen.


Betreuung, Erfassung, Kontrolle - Afrikaner in Deutschland und die "Deutsche Gesellschaft für Eingeborenenkunde" (1884- 1945) *

 

Heiko Möhle

 

 

 

Am 8. Februar 1926 traf sich in den Räumen des Auswärtigen Amtes in der Wilhelmstraße 74 eine Herrenrunde, um die „Unterstützung Eingeborener unserer ehemaligen Kolonien“ zu erörtern.[1] Das Treffen war auf Anregung des Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft, Dr. Theodor Seitz, zustande gekommen. In der Begleitung des früheren Gouverneurs von Kamerun befand sich Geheimrat Dr. Alfred Mansfeld, der unter Seitz als Bezirksamtsmann gedient hatte und inzwischen die „Deutsche Gesellschaft für Eingeborenenkunde“ (DGfE) als Geschäftsführer vertrat. Mansfeld gab vor, „die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Eingeborenen unserer ehemaligen Schutzgebiete“ zu vertreten.[2] Eine Vollmacht mit den Namen von gerade einmal 17, in Berlin, Hamburg, München und Würzburg ansässigen Afrikanern war zwar nur von einem der Betroffenen stellvertretend für alle unterzeichnet worden, aber die Beamten von Dr. Edmund Brückner, dem Leiter der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, fragten vermutlich nicht nach dem Wert dieser Legitimation; sie waren froh, dass sich jemand anbot, ihnen ein „Problem“ vom Hals zu schaffen.

 

Der Aufenthalt von „Eingeborenen“ aus den Kolonien im deutschen „Mutterland“ war den Reichsbehörden seit jeher ein Dorn im Auge. Vor dem Ersten Weltkrieg erließen die meisten Schutzgebietsverwaltungen Ausreiseverbote für die einheimische Bevölkerung. Nur in wenigen Ausnahmefällen erhielten „Schutzgebietsangehörige“ einen Pass zur Einreise in das deutsche Reichsgebiet. Dabei handelte es sich etwa um Teilnehmer der Völkerschauen oder um die Söhne vornehmer Familien, die zu Ausbildungszwecken nach Deutschland geschickt wurden. Nach dem Willen der Behörden sollte der Aufenthalt nach Möglichkeit nicht von Dauer sein.

 

Seit 1884, dem Beginn der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika, haben sich wohl nie mehr als einige hundert Afrikaner aus den deutschen Kolonien längerfristig im „Mutterland“ aufgehalten. Die meisten kamen aus Kamerun, fast alle waren männlichen Geschlechts. Ein Blick ins Kriegsjahr 1916 erhellt, warum die Behörden auf eine so kleine Minderheit mit ausgesprochener Nervosität reagierten.

 

"Ausländer in Berlin"Das Titelbild eines 1905 erschienenen Zeitungsartikels verdeutlicht die ambivalente Lebenssituation von Menschen afrikanischer Herkunft aus den deutschen Kolonien im kaiserlichen Berlin. Gesellschaftliche Diskriminierung und Ausgrenzung der zu "deutschen Kolonialuntertanen" und "Ausländern" Erklärten blieb - ungeachtet enger persönlicher Kontakte - die Norm. Der dritte Junge von links ist Kwassi Bruce (1893-1964) aus Togo, der mit seinem Vater J.C.Bruce 1896 zur "Ersten Deutschen Kolonialausstellung" nach Berlin kam und danach bei bei der Familie Antelmann, Besitzer des Deutschen Kolonialhauses, lebte. Kwassi Bruce blieb in Deutschland, wurde Pianist und erhielt 1926 - als einer von nur ganz wenigen Menschen afrikanischer Herkunft - die deutsche Staatsbürgerschaft. 1934 reichte er bei der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes eine Schrift über die mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten besonders prekär gewordene Lebenssituation von Afrikaner_innen in Berlin ein. 1936 bis 1939 war er als Leiter der "Deutschen Afrika-Schau" angestellt, über deren rassistische Ausrichtung er sich beschwerte. (Foto: "Die Woche", 1905)

 

 

 

Afrikaner als Gefahr für die rassistische Ordnung

 

Im Juni 1916 hatte sich das Reichskolonialamt (RKA) an das preußische Innenministerium gewandt, tief beunruhigt über den Aufenthalt von vier Afrikanern aus Kamerun im preußischen Staatsgebiet, weil diese vor Kriegsausbruch angeblich unerlaubt eingereist waren. Einstweilen war es nicht möglich, die vier „den zuständigen Schutzgebietsbehörden wieder zuzuführen“, da die deutschen Kolonien von den Alliierten besetzt waren. Deswegen schlug das RKA vor, sie „unter besondere polizeiliche Fürsorge zu stellen“.[3]

 

Vor welchem Unheil musste das Deutsche Reich gegen die Männer aus Kamerun geschützt werden? Die Beamten fürchteten offenbar nichts mehr als die Verbindung der Afrikaner mit deutschen Frauen. Einer der vier, der Duala Bebe Same, hatte beim Königlichen Standesamt in Berlin die Eheschließung mit einer Deutschen beantragt. Dies meinten die Kolonialbeamten verhindern zu müssen: „Eine Eheschließung zwischen weißen Frauen und Eingeborenen unserer Schutzgebiete dürfte im Sinne des B.G.B. als unsittlich gelten, solange diese auf solch niederer Kulturstufe stehen, daß ihnen die Einsicht in das Wesen der christlichen Ehe fehlt.“ Da das RKA ihm die Ausstellung eines Ausweises über seine deutsche Staats- oder Schutzgebietsangehörigkeit verweigerte, beantragte Bebe Same kurzerhand die Eheschließung als Ausländer. Die Heirat des Bebe Same barg aus Sicht des RKA gleich zwei Probleme in sich: das der „Mischehen“ und das der Staatsangehörigkeit. Was waren diese „Kolonialafrikaner“, wenn sie keine Deutschen waren? Zwar hatten die Gouverneure der Kolonien Verordnungen über den Status von „Schutzgebietsangehörigen“ erlassen, doch in der Verwaltungspraxis führten widersprüchliche Vorschriften immer wieder zu „Merkwürdigkeiten“ und „Unzuträglichkeiten“.

 

So wenige sie waren, die bloße Anwesenheit von „Eingeborenen“ in Deutschland drohte das wohlgeordnete rassistische System der Kolonialherrschaft gründlich aufzumischen. Denn dieses System beruhte auf der Konstruktion klarer Gegensätze: weiß gegen schwarz, deutsch gegen afrikanisch, Staatsbürger gegen „Schutzbefohlene“, Herren gegen Untertanen. Deutsche afrikanischer Herkunft hatten in diesem System keinen Platz. Wurden die Afrikaner auf deutschem Boden aber als Ausländer behandelt, musste man ihnen wesentlich mehr Rechte zugestehen als es die Kolonialverwaltungen für ihre „Schutzgebietsangehörigen“ vorgesehen hatten. Und nirgendwo ging die Auflösung der „natürlichen Ordnung“ so schnell voran wie im (Ehe-)Bett. Die Vorstellung, ein Afrikaner würde nach dem Krieg in Begleitung seiner weißen Ehefrau und gemeinsamen Kindern - „Bastarden“ - nach Kamerun zurückkehren, war den weißen Männern der Kolonialbürokratie unerträglich. „Wiedervorlage bei Kriegsende“ ist auf dem Schreiben des Reichskolonialamts an das preußische Innenministerium vermerkt.

 

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs verließen offenbar die meisten in Berlin lebenden Afrikaner das Deutsche Reich. Trotzdem behielt die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts ihr Ziel, die wenigen verbliebenen „Eingeborenen der früheren deutschen Schutzgebiete“ in ihre Heimat abzuschieben, bei. Die britischen und französischen Mandatsbehörden, die nach dem Versailler Vertrag die Verwaltung der ehemals deutschen Kolonien übernommen hatten, verweigerten jedoch zunächst die Ausstellung von Einreisevisa.

 

Mitte der zwanziger Jahre hatte die Mehrheit der in Berlin lebenden Afrikaner als Musiker oder in anderen künstlerischen Berufen ein bescheidenes Auskommen gefunden, doch im Falle der Arbeitslosigkeit war ihre Existenz unmittelbar bedroht, da Erwerbslosenunterstützung nur an deutsche Staatsbürger gezahlt wurde. Insbesondere Seitz, an dessen Deutsche Kolonialgesellschaft sich seit Kriegsende wiederholt mittellose Afrikaner mit der Bitte um Unterstützung gewendet hatten, drängte darauf, „dass über die Art, wie wir uns diesen Leuten gegenüber zu stellen haben, eine Einigung herbeigeführt wird.“[4] Das Auswärtige Amt fürchtete ihre Verelendung vor allem aus Prestigegründen. Deutschland wollte seinen verlorenen Kolonialbesitz zurück haben, und in den in der Metropole lebenden Afrikanern sah man Multiplikatoren, die, wenn sie denn einmal nach Afrika zurückgekehrt wären, ein positives Deutschlandbild vermitteln sollten. Damit war das grundsätzliche Spannungsverhältnis vorgegeben, in der sich die Politik des Auswärtigen Amts gegenüber den Kolonialafrikanern bewegte: Förderung ihrer „freiwilligen“ Ausreise unter Sicherung ihrer Existenz in der verbleibenden Zeit des Aufenthalts in Deutschland.

 

„Fürsorge“ und Abschiebung

 

In dieser Situation beauftragte Anfang 1926 das Auswärtige Amt die DGfE, zu deren Vorstand renommierte Persönlichkeiten wie der Afrikanist Diedrich Westermann und der Berliner Missionsdirektor A. W. Schreiber gehörten. Sie hatten sich bereits vor dem Krieg mit einer Vorläuferorganisation der DGfE, der 1913 gegründeten „Gesellschaft für Eingeborenenschutz“, die „Fürsorge für die in Berlin weilenden Farbigen“ zum Ziel gesetzt. Zunächst galt es nun, für vier stellungslose Afrikaner in Berlin Wohnraum zu beschaffen und sie mit monatlichen Unterhaltszahlungen aus dem Etat des Auswärtigen Amts zu unterstützen. Die von Mansfeld in Personalunion geleitete „Vereinigung für deutsche Siedlung und Wanderung“ (VfSW), die gewöhnlich auswanderungswillige Deutsche ins Ausland vermittelte, sollte sich um die Arbeitsvermittlung bemühen. Der VfSW und der DGfE wurden Räumlichkeiten in einem Gebäude des Reichsentschädigungsamtes zur Verfügung gestellt, später zogen sie ins Haus des „Vereins für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) in der Martin-Luther-Straße 97.

 

Doch in der Praxis zeigten sich sehr schnell Probleme. Die Unterhaltszahlungen reichten kaum zum Überleben, und Arbeit für stellungslose Afrikaner war kaum zu bekommen. Am 30. April 1926, nur drei Monate nachdem die Gesellschaft ihre Arbeit aufgenommen hatte, kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Mansfeld und dem Kameruner Peter Makembe, der eine Anstellung auf einer Messe in Düsseldorf wegen der unzumutbaren Bezahlung abgelehnt hatte. Mansfeld, überzeugt, „dass man es diesen Negern nicht überlassen kann, welche Arbeit ihrer sozialen Stellung entspricht, sondern, dass sie eben ein Angebot, welches ihnen gemacht wird, anzunehmen haben“, fühlte sich durch Makembe bedroht und ließ sein Büro unter Polizeischutz stellen.[5] Auf Wunsch von Prof. Diedrich Westermann und Gouverneur a.D. Theodor Seitz, dem Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft, beantragte das Auswärtige Amt umgehend bei den Berliner und Hamburger Polizeibehörden die Abschiebung Makembes in den britischen Teil Kameruns. Aus Angst vor einer nachteiligen Propagandawirkung der Ausweisung ließ Mansfeld vorsorglich durch einen afrikanischen Gewährsmann in Kamerun Nachrichten über die „schandhaften Taten“ Makembes verbreiten. Realisieren ließ sich die Abschiebung jedoch erst im Februar 1928, nachdem Makembe wegen eines Geldfälschungsdelikts einige Monate in Plötzensee eingesessen hatte. Beim Zwischenstopp des Hamburger Woermann-Dampfers in Rotterdam gelang ihm die Flucht von Bord.

 

Doch nicht nur Afrikanern, denen wie Makembe „schnöder Undank und grobe Disziplinlosigkeit“ vorgeworfen wurde, drohte die Ausweisung. Im Mai 1928 vereinbarten das Auswärtige Amt und die DGfE, „alle Eingeborenen, die unterstützt werden müssen, nach Afrika [6] Zwischenzeitliche Unterstützung sollte nur noch erhalten, wer sich schriftlich zur Rückkehr verpflichtete. Den Abschiebungen standen allerdings oft Hindernisse im Weg. Einige Kameruner hatten im Krieg auf deutscher Seite gegen Frankreich gekämpft oder sich, wie Thomas Manga Akwa, propagandistisch betätigt und konnten deshalb nicht ins französische Mandatsgebiet abgeschoben werden. Vergeblich ließ Mansfeld über die VfSW nach deutschen Firmen in Liberia und auf der spanisch verwalteten Insel Fernando Po fahnden, die bereit wären, Anstellungsverträge vorzutäuschen, „um Akwa hinunter zu schaffen“.[7]

 

Manchmal aber schlug das Bemühen um Abschiebemöglichkeiten auch ins Gegenteil um. Der Witwer Theophilus Wonja Michael, der bereits seit 1903 ununterbrochen in Deutschland lebte, entschied sich im Frühjahr 1927 zur Rückkehr nach Victoria in Kamerun. Mansfeld erwirkte die Zustimmung der britischen Behörden, die Bereitschaft signalisierten, Kameruner aus ihrem Mandatsgebiet als „British Subjects“ anzuerkennen. Dann jedoch stellte sich eine unerwartete Komplikation ein: Michael teilte mit, die Deutsche Martha Lehmann heiraten und nach Kamerun mitnehmen zu wollen. Das Auswärtige Amt fürchtete „schweren Schaden für das deutsche Ansehen in Kamerun, wenn Michael die Lehmann zum illegalen oder legalen Zusammenleben mit nach Kamerun nähme“ und forderte den Berliner Polizeipräsidenten auf, die Ausstellung eines Passes für die Ehefrau „unter allen Umständen zu verhindern“.[8] Vergeblich versuchte Mansfeld in einem persönlichen Gespräch, sie von ihrem Vorsatz, Michael zu heiraten, abzubringen. Erleichtert meldete er schließlich ans Auswärtige Amt, dass die Briten der Familie „aus rassenpolitischen Gründen“ die Einreise verweigern würden. So konnte Theophilus Wonja Michael nie in seinen Geburtsort zurückkehren. Er starb 1934 in Berlin-Friedrichshain.

 

 

Verfolgung, Selbstorganisation und „Fürsprecher“

 

Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 wurde die Situation für die in Berlin lebenden Afrikaner immer kritischer. Finanzielle Unterstützung durch die DGfE erhielten zeitweise nur noch zwei Kameruner, „die wegen ihrer besonders langen Anwesenheit in Deutschland und wegen ihrer Heirat mit deutschen Frauen Schwierigkeiten bei ihrer Rückkehr nach Kamerun zu fürchten haben“. Wenn es der DGfE überhaupt noch einmal gelang, für einen ihrer Klienten Arbeit zu finden, drohten Konflikte mit nationalistischen Arbeiterorganisationen. So wurde etwa der Kameruner Manfred Priso, der vorübergehend eine Anstellung bei einem Dresdner Schuhwachsfabrikanten erhalten hatte, nach kurzer Zeit auf Druck des „Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes“, der gegen die „grobe Geschmacklosigkeit“ und das „mangelhafte Rassegefühl“ der Firmenleitung protestierte, entlassen.[9]

 

Unter dem Eindruck eines immer offeneren Rassismus und wachsender sozialer Gegensätze begannen einige Afrikaner sich zu organisieren. 1929 erfolgte in Berlin die Gründung der deutschen Sektion der „Liga zur Verteidigung der Negerrasse e.V.“, deren aktive Mitglieder hauptsächlich Kameruner waren. Nach einem Auftritt ihres Hauptredners Josef Bile bei einer Kundgebung des Sozialistischen Schülerbunds war für den Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft klar, „dass die Eingeborenen, die sich noch in Deutschland befinden, unter den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen rettungslos dem Kommunismus verfallen“ sind, und er erneuerte seine Forderung nach ihrer Abschiebung.[10]

 

Das Auswärtige Amt beschloss, die als „bolschewistisch“ und antikolonial eingestufte Szene in Berlin unter Beobachtung zu nehmen. Mansfeld bot sich dem Auswärtigen Amt als Spitzel an. Schon seit Anfang 1927 besuchte er regelmäßig die Sitzungen der „Liga gegen koloniale Unterdrückung“, die unter anderem gegen eine Wiederaufnahme deutscher Kolonialpolitik protestierte, und erstattete ausführlich Bericht. Vermutlich ist es aber dem Auswärtigen Amt in der Endphase der Weimarer Republik allenfalls in Ausnahmefällen gelungen, die Abschiebung politisch missliebiger Afrikaner durchzusetzen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierten mehrere Mitglieder der „Liga zur Verteidigung der Negerrasse“ nach Frankreich.

 

Die Nationalsozialisten ließen umgehend nach ihrer Machtübernahme 1933 die Pässe aller noch in Deutschland lebenden „Eingeborenen“ aus den früheren Kolonien einziehen, die als „unmittelbare Reichsangehörige“ oder als „deutsche Schutzbefohlene“ registriert waren, und gegen Staatenlosen-Pässe eintauschen. Für die überwiegend als Musiker tätigen Afrikaner wurden damit Engagements im Ausland unmöglich. Lediglich zwei Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatten, waren von dieser Maßnahme vorläufig nicht betroffen. Das Auswärtige Amt stellte im November 1934 fest, dass die Afrikaner „häufig persönlichen Beleidigungen und Zurücksetzungen ausgesetzt sind, vor allem aber, daß mit Rücksicht auf die Stimmung des Publikums kein Unternehmer es wagt, Neger einzustellen. Auf diese Weise ist [ihnen] praktisch auch im Inland die Möglichkeit eines Verdienstes genommen.“[11] Die Beamten im Auswärtigen Amt fürchteten, dass sich eine entstehende „Missstimmung“ unter den Afrikaner unangenehm auf das internationale Ansehen Deutschlands auswirken würde, wenn einmal die Rückgabe der verlorenen Kolonien auf der politischen Tagesordnung stünde.

 

Fürsprache fanden die Afrikaner zu diesem Zeitpunkt nur noch bei zwei ehemals hochrangigen Kolonialbeamten: Edmund Brückner, 1911-12 Gouverneur von Togo, der weiter als Referatsleiter im Auswärtigen Amt arbeitete, und Friedrich von Lindequist, ehemaliger Staatssekretär des Reichskolonialamtes, der als langjähriger Präsident der VfSW inzwischen auch den Vorsitz der DGfE übernommen hatte. Ihr Handeln war zum einen von taktischen Erwägungen geleitet, zum anderen von einer paternalistischen Grundhaltung zu den „Eingeborenen aus unseren Schutzgebieten, die zum Teil selbst und deren Väter im deutschen Dienste gestanden und ihre Pflicht getan haben“, wie es Brückner formulierte.[12]

 

Ende 1935 entstand ein Plan, der alle zufriedenstellen sollte: die arbeitssuchenden Afrikaner, die um Deutschlands Ansehen besorgten Kolonialveteranen und die „rassebewussten“ Scharfmacher der NSDAP. Vorgesehen war die „Errichtung eines Negerdorfes unter Heranziehung der in Deutschland lebenden Eingeborenen aus den ehemaligen deutschen Kolonien“.[13] Die Idee einer fahrenden Kolonialschau stammte von dem Schausteller Adolf Hillerkus und dem togoischem Musiker Kwassi Bruce. Als einer der wenigen Afrikaner mit deutscher Staatsangehörigkeit verfügte Bruce über gute Kontakte zu Brückner. Bereits 1934 hatte er in einer Denkschrift auf die prekäre Situation der in Deutschland lebenden Afrikaner aufmerksam gemacht.[14]

 

Dem Auswärtigen Amt gelang es, auch das Kolonialpolitische Amt der NSDAP und das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda vom politischen Nutzen des geplanten Unternehmens zu überzeugen: „Die Neger werden dem Müßiggang entzogen, der die Gefahr eines unerlaubten Lebensunterhalts in sich birgt, und erhalten eine Beschäftigung, um sich und ihre Familie ernähren zu können. Sie fallen nicht der öffentlichen Fürsorge zur Last; die aus Reichsmitteln zu ihrer Unterstützung zur Verfügung gestellten Gelder werden erspart. Durch ihre Zusammenziehung und die den Unternehmern auferlegte Beaufsichtigungspflicht kann eine weit bessere Kontrolle, als bisher möglich gewesen, ausgeübt werden, um auf diese Weise Rassevergehen leichter unterbinden zu können.“[15]

 

Die Schau schien das geeignete Mittel zu sein, um die in der kolonialen und in der nationalsozialistischen Ideologie angelegte, klare Trennung zwischen deutschen „Volksgenossen“ und afrikanischen „Schutzgenossen“ wiederherzustellen. Letztere bekamen einen klar abgegrenzten Raum, ein mobiles Reservat, zugewiesen, in dem eine komplette exotische und „wilde“, aber unterworfene und beherrschte Gegenwelt zum Deutschland der „neuen Ordnung“ inszeniert wurde.

 

 

Die „Deutsche Afrika-Schau“

 

Im Frühjahr 1936 ging die „Deutsche Afrika-Schau“ mit einem Ensemble von etwa zwanzig Darstellern erstmals auf Tournee, musste jedoch schon nach einigen Monaten aufgrund wirtschaftlicher Probleme abgebrochen werden.[16] Hillerkus und Bruce wurden von der Leitung entbunden. Auf Empfehlung der DGfE, die die Finanzen der Afrika-Schau treuhänderisch verwaltete, übernahm „Kapitän“ Schneider, ein SA-Mann, den Bühnenbetrieb. Schneider kündigte an, die Afrika-Schau „unter eine energische Leitung zu stellen“, hätten doch in der Vergangenheit „die besonderen Rasseeigentümlichkeiten der Neger, ihr ausgeprägtes Triebleben und ihre Neigung zu sexuellen Exzessen häufig Anstoß“ erregt.[17]

 

Afrika-Schau 1938Die Artist_innen der "Deutschen Afrika-Schau", um 1938. Einige sind namentlich bekannt: 1. Reihe von links: Rudolf Boholle, Josephine Bachert, Lilli Waldowsky, Juliette Hillerkus, Harry Overgrand; 2. Reihe: Clarence Walton (4.v.l.), Aleka Taje (6.v.l.), Hedwig Jawa (7.v.l.), 3. Reihe: Mohamed Husen (3. v.l.); evt. ist auch Kwassi Bruce (2. Reihe, 2.v.l.) auf dem Foto zu sehen. (Foto: P. Reed-Anderson)

 

 

 

Zwar wurde auch Schneider bald wieder abgelöst, doch trat die repressive und rassistische Dimension der Afrika-Schau immer mehr in den Vordergrund. Im Oktober 1938 fand im Kolonialreferat des Auswärtigen Amtes unter Beteiligung des Sicherheitshauptamts des Reichsführers SS eine Besprechung „betr. Zusammenfassung aller in Deutschland lebenden Afrikaner“ statt, in der ein umfangreicher Datenaustausch zwischen dem Betriebsführer der Afrika-Schau, der DGfE und dem Rassenpolitischen Amt der NSDAP vereinbart wurde.[18] Das Rassenpolitische Amt stellte aus seiner „Farbigen-Kartothek“ eine Liste mit den Adressen von 66 in Deutschland lebenden „Negern und Mulatten“ zusammen, die von der DGfE zu einem Verzeichnis von 80 „ehemaligen kolonialen Schutzgenossen und deren Nachkommen“ ergänzt und überarbeitet wurde. Vordergründig sollte das Verzeichnis die Auswahl von Mitwirkenden für die Afrika-Schau erleichtern. Den NS-Stellen lieferte es die Grundlage zur Definition einer Gruppe der „Kolonialneger“ und der Erfassung und Kontrolle bestimmter Personen unter dieser Kategorie. Die Konferenzteilnehmer beschlossen den Erlaß einer Polizeiverordnung „zur Vermeidung von rasseschänderischen Beziehungen“. Die Betreuung der Afrika-Schau wurde direkt der DGfE übertragen, und ihr Betriebsführer mit polizeilichen Befugnissen über seine „Gefolgschaft“ ausgestattet.

 

Trotz der Protektion durch Behörden und Parteidienststellen wurde die Afrika-Schau - während sie in der Nähe von Wien gastierte - im Juni 1940 auf Anordnung der Reichspropagandaleitung der NSDAP eingestellt. In den vorausgegangenen Monaten hatten sich rassistische Anfeindungen gegen die Schau und ihr Ensemble gehäuft. Im Herbst desselben Jahres verfügte die Reichstheaterkammer ein allgemeines Auftrittsverbot für „Farbige“. Als einzige Erwerbsquelle blieb den Betroffenen die Tätigkeit als Komparsen in „Exoten-Filmen“ wie dem Kolonialpropagandafilm „Carl Peters“. Doch noch während der Dreharbeiten wurden die „Kolonialfarbigen“ durch französische Kriegsgefangene ersetzt, die den Filmgesellschaften durch die Wehrmacht billig zur Verfügung gestellt wurden.

 

Die DGfE protestierte vergeblich gegen die Einstellung der Afrika-Schau und gegen die Auftrittsverbote. Lindequist legte schließlich resigniert „die bislang durch uns erfolgte Betreuung der Schutzgenossen“ nieder.[19] Bis 1943 führte die Stiftung Kolonialkriegerdank im Auftrag des Auswärtigen Amts die Unterstützungszahlungen weiter. Das weitere Schicksal der durch die DGfE betreuten Afrikaner ist bisher nur in Einzelfällen bekannt.[20]

 


Schwarze Menschen im Nationalsozialismus

 

Die Geschichte Schwarzer Menschen während des Nationalsozialismus könnte sehr einfach dargestellt werden: als Geschichte der damaligen Rassenpolitik, die physische Vernichtung zur Folge hatte. Aber diese Sichtweise ist zu einfach. Sie wird den vielschichtigen Lebenswegen von Kolonialmigranten, Rheinlandkindern oder Einzelfamilien kaum gerecht.

Die Geschichte Schwarzer Menschen während des Nationalsozialismus könnte sehr einfach dargestellt werden: als eine Geschichte, die soziale Isolierung, Sterilisation oder mögliche physische Vernichtung zur Folge haben konnte. Doch spiegelt diese Sichtweise weder die historischen Fakten wider, noch wird sie den vielschichtigen und oft verschlungenen Lebenswegen der Menschen gerecht. Die Forschungsarbeiten der letzten Jahre machen deutlich, dass nur die Einbeziehung verschiedener Perspektiven eine differenzierte Beschreibung erlaubt.

Eltern des Zeitzeugen Theodor Wonja Michael, 1914.Eltern des Zeitzeugen Theodor Wonja Michael, 1914. (© Privatarchiv Paulette Reed-Anderson)

Schwarze Deutsche Geschichte besitzt – wie jede andere Gemeinschaftsgeschichte auch – eine eigene Chronologie. Daher ist es von großer Bedeutung, besondere Eckdaten freizulegen und miteinander zu verbinden. Anders als bei anderen verfolgten Gruppen weisen die deutsche Kolonialzeit 1884-1918, die Weimarer Republik 1918-33 und der Nationalsozialismus 1933-45 im Hinblick auf die zunehmende Entrechtung und Verfolgung von Schwarzen Menschen wichtige Kontinuitäten auf. Bedeutsam ist ebenfalls, dass die Erfahrungen Schwarzer Menschen sehr facettenreich und zum Teil widersprüchlich sind, da unterschiedliche Gruppen existierten. Neben dauerhaft hier lebenden Afro-Deutschen sowie afrikanischen Migrantinnen und Migranten gab es auch Afro-Europäerinnen und –Europäer, Afro-Amerikanerinnen und -Amerikaner, die sich, z.B. als Entertainer oder Studierende nur zeitweilig im Land aufhielten. Die jeweilige Herkunftsgeschichte hatte Konsequenzen für den Charakter der nationalsozialistischen Verfolgung, der sowohl von rassenpolitischen Vorgaben als auch von außenpolitischen Interessen bestimmt war.

Kolonialmigrantinnen und -migranten und ihre Angehörigen


Die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und damit am längsten in Deutschland lebende Gruppe sind die Kolonialmigranten, die sich selbst "Landsleute" nennen. Ihre Anwesenheit knüpft sich an die gewaltsame Inbesitznahme deutscher Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent im Zuge der Bismarckkonferenz 1884/85 und diese initiierte eine Migrationsbewegung im Zuge derer vornehmlich afrikanische Männer ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegten, kommunale Netzwerke etablierten und Familien gründeten.

Von Beginn an wurde ihre Stellung in der Mehrheitsgesellschaft von ihrem schwierigen Status als Zuwanderer bestimmt. Das bedeutete nicht nur eine sukzessive Verschärfung der rechtlichen Situation, die für Angehörige dieser Gruppe nach dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze 1935 den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zur Folge hatte. Erschwerend hinzu kam die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Eine der wenigen Nischen, in der viele Kolonialmigrantinnen und -migranten sich und ihren Angehörigen das Überleben sichern konnten, waren entwürdigende Auftritte in Völkerschauen und Kolonialfilmen.

Artisten der deutschen Afrikaschau in den 1920er Jahren.Artisten der deutschen Afrikaschau in den 1920er Jahren. (© Privatarchiv Paulette Reed-Anderson)

Im Rahmen der aufwändigen Planungen für ein zukünftiges Kolonialreich war diese Tätigkeit für die Nazis zunächst von Interesse. Die Landsleute wurden zu "lebendem Kapital" und sollten – wie etwa in der "Deutschen Afrikaschau" oder in diversen Kinofilmen – als ehemalige koloniale Untertanen an die einstige deutsche Größe erinnern. Dieser kulturpolitische Teil der nationalsozialistischen Politik eines "Kolonialismus ohne Kolonien" erklärt zwar die abwartende Haltung der offiziellen Behörden bis zu Beginn der Vierzigerjahre, dennoch wurden – wie Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen beweisen – nicht wenige zur Zwangsarbeit verschleppt, sterilisiert und in KZs interniert.