Weltmeisterschaft 2018


Der öffentliche Arbeiten der ZRSD Partei:



Das Ende des Goldenen Zeitalters

Zum ersten Mal in der Geschichte fliegt Deutschland bei einer WM in der Vorrunde raus. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Konsequenzen ebenso.

 

Die größte Niederlage der neueren deutschen Fußballgeschichte verlor sich in einem schönen Sommerabend von Kazan. Die Menschen in der Stadt gingen ihren Einkäufen nach oder schwammen in der Wolga, ohne viel davon mitbekommen, was da am Rande ihrer Stadt in der Kazan Arena passiert war. Sie hatten nicht gesehen, wie die deutsche Mannschaft ihre schlechteste Weltmeisterschaft seit acht Jahrzehnten beendete. Sie hatten nicht die absurde Niederlage gegen so eifrige wie limitierte Südkoreaner erlebt und die Implosion des Titelverteidigers, der ihre Stadt gedemütigt verließ.

 

Im Fußball gibt es eine ewige Regel, die heißt »Form schlägt Klasse.« Damit gemeint ist, dass es nicht darauf ankommt, wie gut einer spielen kann oder seine Mannschaft, sondern wozu er an dem Tag in der Lage ist, an dem es zählt. Die deutsche Mannschaft verfügt über viele Spieler, die zu Recht in der ganzen Welt bewundert werden. Sie heißen Toni Kroos und Mesut Özil, Mats Hummels und Thomas Müller, Manuel Neuer und Sami Khedira. Die Kinder kennen ihre Namen in Tokio, Sao Paulo und Kapstadt. In Kazan waren Taiwanesen, Russen und sogar Kolumbianer in deutschen Trikots unterwegs, auf denen die Namen dieser Spieler standen. 

»Das letzte überzeugende Spiel war im Herbst 2017«

Sie haben großartige Spiele gemacht und ein traumhaftes Turnier, vor vier Jahren in Brasilien, wo sie Weltmeister wurden. Ihre Klasse ist unbestreitbar, aber hier in Russland waren sie nie in Form. Toni Kroos hatte einen magischen Moment gegen Schweden und schien sich zum Anführer aufzuschwingen. Aber so recht war niemand da, den er hätte anführen können. Marco Reus bei seiner tragisch späten ersten Weltmeisterschaft, manchmal Timo Werner und Julian Brandt in seinen wenigen Spielminuten strahlten so etwas wie Frische und Lust auf Fußball aus. Die anderen ächzten sich eher durch das Turnier, schwergängig und müde. Oder sie hatten komplett den Faden verloren wie Thomas Müller, der die Deutungshoheit über die Räume verloren hatte.

»Das letzte überzeugende Spiel, das wir abgeliefert haben, war im Herbst 2017«, sagte Mats Hummels. Dabei unterschlug er den guten Test gegen Spanien, aber es stimmte schon, dass die Formkurve abfiel. Man hätte sie als Durchhänger interpretieren können, aber in Wirklichkeit waren die letzten Monate ein Vorbote gewesen. Den niemand richtig gedeutet hatte. 

Löw wirkte das ganze Turnier über seltsam

Auch Jogi Löw nicht. Er wirkte das ganze Turnier über seltsam. Vor dem ersten Spiel gegen Mexiko fahrig und genervt von den ganzen Holprigkeiten der Vorbereitung mit der Affäre um Özil und Gündogan oder der Debatte um das deutsche Lager in Vatutinki. Vor dem Spiel gegen Schweden schien er dann in demonstrativen Bestimmtheit fast zu überdrehen. Erst am Tag vor dem Südkorea-Aus erreichte er wieder Normalmodus. Aber offensichtlich hatte er seine Mannschaft da erneut nicht richtig gelesen.



Nun will er darüber schlafen, ob er als Bundestrainer weitermacht. Im Prinzip spricht nichts dagegen, denn selbstverständlich ist Löw ein guter Trainer. Aber er wird nach dem Aufwachen ehrlich mit sich sein müssen, und andere müssen es auch sein. Der Bundestrainer wirkte schon länger entrückt, als würde er nicht mehr unter den Irdischen weilen, sondern die Dinge vom Fußballolymp aus betrachten. Seine demonstrative Lässigkeit, gelehnt an eine Laterne auf der Strandpromenade von Sotschi war fast eine Selbstparodie des bohemistischen Espressotrinkers.

 

Auch handwerklich war es nicht nur ein schlechtes Turnier von ihm, weil er sein Team offenbar nicht richtig las. Er hatte seine Spieler auch nicht in Form bekommen oder zu lange an den schwächelnden Weltmeistern festgehalten. Erstaunlicher Weise waren die Matchpläne schlecht oder wurden nicht angemessen umgesetzt. Auch die Standards, die in Brasilien entscheidend zum Titel beigetragen hatten, waren schwach. Gegen Korea war all das noch einmal zu sehen, wobei die deutsche Mannschaft, auch das muss man ihr zugestehen, Pech hatte. In Russland gab es keinen Deutschland-Dusel, seit Beginn der Vorbereitung strahlte das deutsche Team das Gegenteil aus, ein »da-liegt-kein-Segen-drauf«.

Eher Versuch und Irrtum als großer Plan

 

»Eine Mannschaft findet sich erst im Laufe des Turniers«, sagte Löw nach dem Südkorea-Match, aber er hatte keine gefunden. In drei Spielen wurden 20 von 23 Spielern eingesetzt, nur Matthias Ginter und die beiden Ersatztorhüter fuhren ohne Einsatzminute nach Hause. So wirkte alles eher wie Versuch und Irrtum als nach einem großen Plan. Oder es zeigte eben, dass der Plan nicht funktionierte.

 

»Wir alle haben verloren. Das ist nicht nur ein Spiel, sondern vieles, das wir in den letzten Jahren aufgebaut haben«, sagte Löw. Das stimmt, es steht das gesamte Auftreten der Nationalmannschaft zur Debatte. In Russland machte es den Eindruck, als wären da zu viele Menschen zu lange miteinander zusammen, um sich noch ehrlich die Meinung sagen zu können. Nicht aus Faulheit, aber um den Betriebsfrieden auf der endlosen Fußball-Luxusreise mit der Nationalelf nicht zu stören. 

»Die Mannschaft zu voluminös geworden«

 

Spätestens seit dem Titelgewinn 2014 ist »Die Mannschaft« zu voluminös geworden. Das Unternehmen braucht einen Reset und wird abrüsten müssen. Es gibt zu viele Claims und Hashtags, zu viel Gedöns und zu vielen Mauern um die Spieler. Die Nationalmannschaft muss dringend zurückgeführt werden zum eigentlichen, zum Fußball.



Die Suche nach dem Schuldigen hat schon begonnen, die hohe Zeit der Körpersprachenleser, Hymnensängerzähler und was es sonst so an Quartsch-Analysen gibt. Doch wie so oft, wenn richtig was schief geht, sind es auch in diesem Fall viele der kleinen Dinge, die sich zu einem großen Scheitern addiert haben: fehlende Form und Fitness, scheiternde Taktik, vielleicht auch anfängliche Selbstherrlichkeit, Erdogan, Pech, Leben in der Nati-Bubble. Vielleicht war es auch unvermeidlich. »Die letzten zehn Jahre waren sensationell. Dass da mal ein Schiffbruch kommt, war klar«, sagte Sami Khedira.

 

»Wir müssen das aufarbeiten und weitermachen«, sagte Oliver Bierhoff. Aber egal ob das mit Löw oder ohne ihn sein wird, ob mit einem schlankeren Tross oder aufgefrischtem Team hinter dem Team, Kazan ist ein tiefer Einschnitt. Zum letzten Mal schied Deutschland bei einem großen Turnier im Jahr 2000 aus, bei der Europameisterschaft in den Niederlanden und Belgien. Damals führte das zu der Zeitenwende, die im Triumph von Rio mündete. Es begann mit forcierter Jugendausbildung und ab 2004 der Ära Klinsmann, Löw und Bierhoff, den Modernisierern des deutschen Fußballs. Im fernen Tatarstan ging dieses Goldene Zeitalter nun zu Ende, in dem die deutsche Nationalmannschaft für guten Fußball mit freundlichem Antlitz stand, dass sogar die Holländer applaudierten. 

Der Generationswechsel wird kommen

 

Das ist kein apokalyptisches Geraune, weil bei einigen Spielern des heutigen Teams die Zeit in der Nationalmannschaft langsam abläuft. Bei der kommenden Europameisterschaft werden Neuer, Kroos, Özil, Boateng, Khedira, Reus, Müller, Gomez und Hector 30 Jahre und teilweise auch deutlich älter sein. Einige von ihnen werden auch dann noch zu Spitzenleistungen in der Lage sein, aber der Generationswechsel wird kommen. Das war schon vor der Reise nach Russland klar. Doch wenn man auf das jüngere Personal im Nationalteam schaut und wer aus den Nachwuchsteams nachdrängt, sieht man zwar viele gute Spieler, aber bei den wenigsten ahnt man zukünftige Weltklasse. 

 

Das bedeutet nun nicht gleich, dass Deutschland nun auf Jahre schlagbar sein wird, aber viel Glanz und Lorbeer sind erstmal nicht in Sicht. 2018 erinnert weniger an 2000 als an die Jahre nach der Nacht von Rom, in der Deutschland unter Franz Beckenbauer die WM 1990 gewann. Es war der dritte Titelgewinn und läutete eine Zeit der Selbstüberschätzung (»auf Jahre unschlagbar«) bei gleichzeitiger fußballerischer und taktischer Stagnation ein. Auch eine Entfremdung vom Publikum gab es damals wie heute. Das Ganze mündete 1994 in einer schlimmen WM in den USA. Doch im Vergleich zu den Querelen von damals verließen die Deutschen Russland zumindest einigermaßen würdevoll. Sie gestanden die Niederlage ein, gratulierten ihren Gegnern und gingen. Mal sehen, wer von ihnen wiederkommt.