Der Islam hatte keine Aufklärung, deshalb kennt er weder Nächstenliebe noch Demokratie. Was bei diesem Kurzschlussargument gerne vergessen wird: Die Aufklärung brachte uns auch Rassenlehre und Holocaust.
Vollverschleierte Frauen, bärtige Salafisten, Handschlag verweigernde Imame. So sieht der Islam in Deutschland aus. Oder zumindest sind das die Bilder, auf die Politiker setzen, wenn sie mit dem Thema ihre rechte Ex-Klientel zurückgewinnen wollen, die jetzt lieber die AfD wählt.
"Politiker" steht hier deshalb in der männlichen Form, weil es bis auf wenige Ausnahmen tatsächlich nur Männer sind, die öffentlich darüber entscheiden, wer oder was zu Deutschland gehört - und wer oder was nicht. Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte oder junge Leute sucht man in der Debatte fast vergebens. Und erst recht die, um die es geht: Musliminnen und Muslime.
Dem Islam fehlt die Aufklärung, deshalb ist er im Gegensatz zum Christentum weder zur Nächstenliebe fähig, noch zur Demokratie. So ließe sich herunterbrechen, was CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kürzlich äußerte. Obwohl es da eigentlich kaum etwas herunterzubrechen gibt. Was er meinte, war: Wir Christen hatten die Aufklärung und haben deshalb jetzt Demokratie, Toleranz und Freiheit. Alles Dinge, die "kein einziges islamisches Land auf der ganzen Welt" kennt, weshalb der Islam für "unser Land" auch nicht prägend werden dürfe. Doch wen meint der CSU Abgeordnete mit "wir", wenn er "unser" sagt? Wem gehört Deutschland?
Land der Privilegierten
Uns Christen, könnte Dobrindts Antwort lauten. Allerdings sind wir gar nicht alle Christen, sondern auch Atheistinnen, besonders weiter nördlich und östlich in Deutschland. Uns Deutschen, wäre auch noch naheliegend. Da wären dann aber auch viele Musliminnen dabei, integriert oder nicht. Dann gehört es vielleicht all jenen, die sich zur demokratischen Grundordnung bekennen? Wäre das die Antwort, dann müssten zunächst einige Reichsbürgerinnen und Identitäre ausgebürgert und abgeschoben werden. Die Frage lässt sich also gar nicht so leicht beantworten.
Viel spannender ist ohnehin, für wen Dobrindt eigentlich spricht: nämlich für die Privilegierten, die männlich, deutsch, weiß, christlich, heterosexuell, mittelalt sind. Für alle, die jetzt Angst haben, ihre Privilegien zu verlieren. An Muslime zum Beispiel, wenn sie Richterinnen werden könnten, statt wie bisher den Gerichtssaal zu putzen - eine Tätigkeit, bei der das Kopftuch noch nie diskutiert wurde.
Weil es in einem Land, in welchem Religions- und Gewissensfreiheit herrscht, nur wenige Argumente gegen eine ganze Glaubensgemeinschaft gibt, müssen die Privilegierten schweres Geschütz auffahren. Da scheint die Aufklärung, die Nichteuropäern entgangen ist, die aber verbindlich für alle sein sollte, das Mittel der Wahl.
Rassenlehre statt Nächstenliebe
Die Aufklärung hat viele gute Errungenschaften hervorgebracht: Die Idee von Gleichheit, Freiheit, Menschenrechten. Genau genommen waren es aber nicht die Christen, die diese Bewegung entscheidend geprägt hätten. Das Christentum war eher das, wogegen sich die Aufklärerinnen behaupten mussten: das Rückständige, Unterdrückende, Irrationale. Der Laizismus in Frankreich zeugt bis heute von der aufklärerischen Abgrenzung gegen den Katholizismus. Laizismus ist ein Prinzip, für das die Christlich Soziale Union bis heute nicht steht, was die Argumentation einigermaßen unsinnig erscheinen lässt.
Was außerdem gerne vergessen wird: Die Aufklärung hat auch noch ein paar andere Dinge hervorgebracht, auf die wir uns lieber nicht öffentlich besinnen. Den Kolonialismus, den Faschismus und die Shoah zum Beispiel. Weshalb sich Juden über die zynische Wendung "christlich-jüdische Tradition des Abendlandes" nur wundern können. Theodor Adornos "Dialektik der Aufklärung" zeigt den Zusammenhang zwischen Aufklärertum und Holocaust schon 1944. Nächstenliebe kommt da nicht vor. Die historischen Fakten, die jedes Kind in der Schule lernt, entlarven Dobrindts Äußerungen mindestens als geschichtsvergessen.
Das Gefühl der westlichen Überlegenheit über islamische Gesellschaften gehört zu den unrühmlichen Relikten der Aufklärung, die ganz offensichtlich noch nachwirken. Andere als minderwertig, unzivilisiert und nicht vernunftbegabt (heute: nicht demokratiefähig) anzusehen, ermöglichte vor 200 Jahren, außereuropäische Bevölkerungen mit Ideen wie der Rassenlehre zu entmündigen, zu kolonisieren und zu unterwerfen. Begründet wurde dies wissenschaftlich mit ihrer Rückständigkeit und normativ mit der Pflicht, sie daraus zu befreien. Eine ziemlich paternalistische Idee also. Wie unsere Debatte heute.
Dabei war es über viele Jahrhunderte in der Geschichte andersherum. Der Islam galt als die Religion der Toleranz, unter der die Wissenschaft florierte - während das Christentum eher mit Wissenschaftsfeindlichkeit verbunden wurde. Weshalb es ja dann auch eine Aufklärung brauchte.
Fischen am rechten Rand ist gefährlich
Sicher gibt es unter den fast 5 Millionen Musliminnen in Deutschland auch radikale Islamisten - auf 0,2 Prozent wird ihr Anteil geschätzt. Wenn die Politik wirklich etwas gegen die "Islamisierung" tun will, dann könnte sie Programme zur Deradikalisierung besser fördern. Die sind nämlich chronisch unterfinanziert, machen aber die eigentlich wichtige Arbeit in dem Bereich. Wahrscheinlich geht es Politikern jedoch gar nicht darum, etwas zu verändern. Vielleicht brauchen sie genau diese feindliche Stimmung gegen eine Minderheit, um Wählerstimmen einzufangen. Das aber ist gefährlich, das sollte uns die Geschichte eigentlich gelehrt haben.
Dafür bräuchten wir gar nicht allzu weit zurückblicken. Auch aus der jüngeren Zeit gibt es Beispiele für die Wirkung von demagogischer Hetze, die Gesellschaften spaltet - eigentlich ein Markenzeichen autokratischer Herrscher, die so ihre Macht sichern: in Russland, in der Türkei, in Ungarn.
Aber selbst im demokratischen Herzen Europas sind die Gesellschaften keinesfalls gefeit gegen solche gefährlichen Stimmungen, nur weil sie sich die Demokratie auf die Fahnen schreiben. In Frankreich ist das Fischen am rechten Rand grandios nach hinten losgegangen, als der ehemalige konservative Präsident Nicolas Sarkozy auf diese Weise um Wählerstimmen warb.
Es bescherte dem rechtsextremistischen Front National von Marine Le Pen einen nie gekannten Aufschwung - und den Konservativen den Abschwung. Sie haben sich bis heute nicht erholt.
Wenn schon nicht die Geschichte, dann könnte doch wenigstens dieses Beispiel Politikern eine Lehre sein.
Islam und westliche Werte sind nicht vereinbar? In Istanbul kämpften schon im 19. Jahrhundert Frauen für mehr Rechte. Der Orientalist Christopher de Bellaigue zeichnet in seinem Buch die muslimische Aufklärung nach.
Verstößt ein Kopftuch im Staatsdienst gegen das Neutralitätsgebot? Wie viel Antisemitismus grassiert unter jungen Muslimen? Nur zwei Fragen in der aktuellen Diskussion über Islam in Deutschland, die oft vereinfachende Antworten nach sich ziehen und immer für Erregung sorgen: Nicht erst seit Horst Seehofers "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" gilt das Verhältnis zwischen postreligiöser deutscher Gesellschaft christlicher Prägung und dem Islam als belastet. Und jeder Terroranschlag mit islamistischem Hintergrund scheint die Spaltung voranzutreiben zwischen denen, die auf den friedfertigen Charakter des Koran pochen, und jenen, die in der Religion ein rückständiges Wertesystem sehen.
Gegen diese tiefen Gräben will der Brite Christopher de Bellaigue mit Wissen arbeiten. Mit seinem Buch möchte der Orientalist mit dem Irrtum aufräumen, dass die jüngste der fünf Weltreligionen nie eine Aufklärung erlebte; jene von Vernunft und Fortschrittsglauben geprägte Strömung, die Europa Kants Rationalismus bescherte, Voltaires Plädoyer für religiöse Toleranz und die Französische Revolution mit ihrer Forderung nach "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit".
Der Islam, so Bellaigue in "Die islamische Aufklärung", habe in den vergangenen zwei Jahrhunderten "einen schmerzhaften, aber zugleich auch beglückenden Wandel erfahren", samt Reformen, Innovationen, Gegenbewegungen. Der Autor zeichnet diesen Umbruch detailliert nach - macht zuvor aber deutlich, weshalb dieser überhaupt nötig war.
Selbst auferlegte Isolation
Ein halbes Jahrtausend des Glanzes bescheinigt de Bellaigue der islamischen Welt im Anschluss an Mohammeds Tod im Jahr 632. Der christlichen Zivilisation sei man in vielem voraus gewesen, habe nicht nur in der Mathematik, Medizin oder Baukunst brilliert. Doch die Spaltung in Sunniten und Schiiten leitete den Niedergang ein, es folgten die christlichen Kreuzzüge und damit der Zweifel an der Gunst Gottes. Die Konsequenz: der Verlust von "Originalität und Finesse" sowie eine selbst auferlegte Isolation, etwa durch das Verbot der aus Europa kommenden Druckerpresse. Ein allen zugänglicher Koran, so die Furcht damals, führe zu Fehlinterpretationen.
Welche progressiven Geister die muslimische Welt dann jedoch im 19. Jahrhundert erlebte, als sie sich wieder Einflüssen von außen öffnete, führt de Bellaigue am Beispiel der Metropolen Kairo, Istanbul und Teheran vor. Erneuerer wie Rifaa al-Tahtawi, Namik Kemal oder Mirza Saleh dürfte hierzulande kaum jemand kennen, in Nahost trieben sie die Moderne entscheidend voran. Pioniere auf den Gebieten der Bildungspolitik, der freien Presse und der Frauenrechte, die etliche ihrer Ideen von Reisen nach Europa mitbrachten, sogar die Marseillaise ins Türkische und Arabische übersetzten.
Dass etwa für Emanzipation in Istanbul schon gekämpft wurde, als die Stadt noch Konstantinopel hieß, zeigt das Beispiel der Fatma Aliye. Als eine der ersten muslimischen Schriftstellerinnen genoss sie in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts Ansehen weit über die Grenzen des Osmanischen Reichs hinaus. Und bereits 1869 konnte man in der Wochenzeitung "Fortschritt muslimischer Frauen" die wütenden Sätze lesen: "Sind wir nicht in der Lage, Wissen und Fertigkeiten zu erlangen? Sind wir keine Menschen? Niemand, der mit einem gesunden Menschenverstand ausgestattet ist, akzeptiert das."
Warum aber konnten weder die Freigeister Ägyptens noch der Türkei oder Irans langfristig den Weg zu einer offenen Gesellschaft ebnen? De Bellaigue nennt den Ersten Weltkrieg eine "Wasserscheide in der Geschichte der islamischen Aufklärung". Die Begeisterung für liberale Werte und einen säkularen Staat endete jäh, stattdessen formierten sich reaktionäre Gegenbewegungen - etwa zu Atatürks Reformen, die mit der Gründung der Republik Türkei eine Trennung von Religion und Staat vorsahen. Den Islamismus als radikale Form des politischen Islam sieht de Bellaigue so als Folge der Zerstückelung des Osmanischen Reichs.
Den Modernisierungsprozess des Islam vergleicht De Bellaigue mit einem Tier, das eine Lobotomie erlitten hat: Äußerlich scheint alles in Ordnung, innerlich leidet es unter schweren Störungen.
Zugleich begeht der Autor aber nicht den Fehler, die Entwicklung der islamischen Welt allein im Hinblick auf ihre Aneignung christlich-europäischer Werte zu beurteilen. Sein historischer Blick macht vielmehr deutlich, wie der Westen gerade durch die Einmischung den Nationalismus stärkte: Ägypten etwa habe sich nach dem Ende der britischen Besetzung 1922 in einen arabischen Chauvinismus geflüchtet; denn der Liberalismus war durch die Kolonialmacht diskreditiert. Islamismus geriet so zur "Widerstandsideologie". So war es am Ende der Westen selbst, der Bewegungen wie die Muslimbruderschaft hervorbrachte.
In Deutschland bilden die Bürgerrechte zusammen mit den Menschenrechten die Grundrechte nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Auf verschiedene Bürgerrechte, z. B. das Recht auf Freizügigkeit, können sich laut EU-Verträgen auch Bürger anderer EU-Staaten berufen. Auf der seite des Bundeszentralrats der Schwarzen in Deutschland ZRSD ,,ZRSD Parteri,,.